Gestern fiel der Ölpreis zeitweise unter die Marke von USD 30, einen Preis, der noch vor kurzem unvorstellbar war. Doch was bedeutet dieser Preis für die Region des Mittleren Ostens?

Zunächst einmal ist die Förderung von Erdöl in den Staaten des Mittleren Ostens günstiger als irgendwo anders. Die nachfolgende Tabelle zeigt eine Übersicht der Kosten der Ölproduktion in den 20 größten Ölförderländern in der Reihenfolge der Kosten absteigend (Quelle: Rystad Energy, 23. November 2015):

Land Gesamte Kosten der Ölförderung pro Barrel Rohöl (159l), in USD
Vereinigtes Königreich von Großbritannien $52,50
Brasilien $48,80
Kanada $41,40
USA $36,20
Norwegen $36,10
Angola $35,40
Kolumbien $35,30
Nigeria $31,60
China $29,90
Mexiko $29,10
Kasachstan $27,80
Libyen $23,80
Venezuela $23,50
Algerien $20,40
Russland $17,20
Iran $12,60
Vereinigte Arabische Emirate (VAE) $12,30
Irak $10,70
Saudi Arabien $9,90
Kuweit $8,50

Die Übersicht zeigt, dass die Rohölförderung in den arabischen Staaten, allen voran in Kuweit, deutlich günstiger ist, als in anderen Ländern, insnbesondere in den USA und Kanada, wo viel Öl durch Fracking und Offshore gewonnen wird und in Norwegen und Großbritannien, wo fast ausschließlich offshore gefördert wird. Dies hat signifikante Auswirkungen auf den Förderpreis, denn Ölplattformen auf dem offenen Meer sind teuer zu errichten, teuer zu unterhalten und der Abtransport des Öls verursacht weitere Kosten. Dazu kommt, dass die Ölfelder im Mittleren Osten zu den größten zählen, wo darüber hinaus Öl recht gut fließt, ohne dass großartig nachgeholfen werden muss. Auch sind weitere Fördergebiete bekannt und müssen nicht teuer ausgekundschaftet werden. Außerdem ist die Qualität des Öls sehr hoch, was zu höheren Preisen auf den Absatzmärkten führt. Schließlich haben die arabischen Länder keinerlei Probleme mit rechtlichen Fragen. Das Land gehört dem Staat (bzw. den Herrscherfamilien), genauso wie die Ölfördergesellschaften und teilweise auch die erdölverarbeitende Industrie.

Also sieht es so aus, als wären die arabischen Staaten sehr glücklich mit dem Preis und könnten die niedrigen Preise nch lange weiter durchstehen, während in anderen Ländern Verluste eingefahren werden? Vielleicht sogar so lange bis Konkurrenten aus dem Markt gedrängt werden, weil sie aufgeben mussten?

Selbstverständlich tut es den europäischen und amerikanischen Ölfirmen weh, Verluste aus der Förderung zu erwirtschaften. Diese können jedoch zumindest teilweise aus der Weiterverarbeitung und dem Weiterverkauf wettgemacht werden. Kleineren und lokalen Rohölförderfirmen droht hingegen das Aus, die Entlassung der Mitarbeiter, der Ausfall von Anleihen, etc. Aber aus volkswirtschaftlicher Sicht und mit Hinblick auf den Staatshaushalt der Länder sind die entstehenden Probleme (zunächst) überschaubar. Doch genau hier liegt das Problem für die arabischen Staaten. Deren Haushalt stützt sich fast ausschließlich auf das Öl. Aus einer Studie der Deutschen Bank geht hervor, dass der durchschnittliche Ölpreis hätte $104 betragen müssen, um dn Haushalt 2015 von Saudi Arabien auszugleichen. In den anderen arabischen Ländern sieht es ähnlich aus. Die Bevölkerung hat sich an die vielen Geschenke der Regierungen längst gewöhnt, ähnlich wie das bei uns mit den Sozialleistungen der Fall ist, die in guten Zeiten immer wieder erhöht werden, in schlechten aber nicht nach unten angepasst werden (können). Da ist es ein schwacher Trost, dass es auch anderen Nationen wie Russland ($105,20 für einen ausgeglichenen Haushalt), Venezuela ($117,50), Nigeria ($122,70) ähnlich geht.

Selbstverständlich kann Saudi Arabien die Produktion erhöhen und so auch die Einnahmen erhöhen. Doch das hätte nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage zur Folge, dass der Preis noch weiter fällt. Im Iran, der ebenfalls relativ günstig fördern kann, wird man mit den schwindenden Sanktionen nach dem Atom-Abkommen glücklich über jegliche Deviseneinnahmen sein, die zu erzielen sind. Auf Verständnis des Iran für die Probleme Saudi Arabiens brauchen man eh nicht zu hoffen.

Die Lage ist also vertrackt und sie macht die Lage in der Region nicht unbedingt stabiler. Analysten sind sich übrigens völlig uneins über die weitere Entwicklung des Ölpreises. Aber das waren sie schon immer. Manche erwarten, dass der Ölpreis in Kürze auch noch unter die 20-Dollar-Marke fallen wird, andere sagen für den Verlauf des Jahres wieder Ölpreise von über 100 US-Dollar vorher. Wenn Sie meine Meinung dazu wissen wollen: ich habe keine Ahnung und halte prinzipiell alles für möglich.